Interview Callboy Aaron – Süße Stunden für SIE

Was Männer seit jeher erwerben können, steht auch Frauen spätestens seit dem Internetzeitalter jederzeit und überall zur Verfügung. Dafür sorgen Callboy-Vermittler, die für die anspruchsvolle und vorsichtige Kundschaft nur handverlesene Herren anbieten. Herren wie Aaron aus Stuttgart.

Süße Stunden für Sie - Interview mit Callboy Aaron Stuttgarter Zeitung Callboyz.net

Interview Callboy | Süße Stunden für Sie: Ein Callboy erzählt aus seinem Berufsalltag

Die Kundinnen wohnen in Doppelhaushälften im Kreis Böblingen, in Neubaugebieten in Remseck, in Mehrfamilienhäusern im Stuttgarter Norden, vierter Stock, ohne Aufzug. Sie arbeiten in Rathäusern, in Marketingabteilungen, bei Daimler. „Allenfalls gehobene Mittelschicht, würde ich sagen, ganz selten richtig reich“, schätzt Aaron. Trotzdem sind die Frauen bereit, für seine Dienstleistung mehrere Hundert Euro hinzublättern. 350 Euro verlangt Aaron für zwei Stunden „Social Time“, 400 für „Sweet Time“, und wer mit ihm aufwachen möchte, bezahlt mindestens 1000 Euro. Aaron ist eigentlich eine Art Künstlername. Für seine Verführungskünste geht er fünfmal die Woche ins Kraftstudio und ernährt sich ausgewogen.

Der Escort-Mann – oder salopper: Callboy –ist einer von 58 Männern, die auf der Plattform „Callboyz.net“ ihr Können anpreisen. Die Webseite, eine von rund einem halben Dutzend nennenswerter Callboy-Vermittlungen im Netz, ist erst drei Jahre alt, expandiert aber kräftig. „Wir fingen mit fünf Herren an“, erinnert sich ihr Gründer Michael, ebenfalls aus dem Stuttgarter Raum und früher im Callboy-Geschäft tätig. Zehn Jahre lang hat er hier Feldforschung betrieben –und kam zu dem Schluss, dass da draußen eine enorme Nachfrage auf ein mageres Angebot stößt.

Was Männer sich seit Jahrtausenden für Geld kaufen können, steht dem weiblichen Geschlecht erst seit etwa hundert Jahren zur Verfügung: Die ersten „Gigolos“ – wörtlich übersetzt Eintänzer – waren ursprünglich angestellte Männer, die bei Tanzveranstaltungen Frauen ohne Begleitung zum Walzer aufforderten. Das Potenzial dieses Jobs entdeckten nach dem Ersten Weltkrieg, als die Frauen in der Überzahl waren, vor allem aus der Armee entlassene Offiziere, die nur eine militärische Ausbildung hatten, sich aber zu benehmen und elegant zu kleiden wussten. Als erste Adresse für die zweite Karriere galt damals das Berliner Adlon, das auch als „Schule der Gigolos“ in die Annalen einging. Einer der Stammgäste war Leonello Casucci, der Komponist des Schlagers „Schöner Gigolo, armer Gigolo“, ebenso wie Thomas Mann, der sich dort vielleicht für sein Hochstapler-Porträt Felix Krull inspirieren ließ. Allerdings endete die Schicht des Gigolos von damals nicht zwangsweise im Bett. Das ist heute anders.

suesse-stunden-fuer-sie-interview-callboy-aaron-stuttgarter-zeitung_callboyz_net

Breites Kreuz, gute Manieren: Callboy Aaron | Foto Andreas Reiner

Die kurzen Introclips auf der Webseite „Callboyz.net“ zeigen zwar ein romantisches Abendessen am Meer oder einen Spaziergang bei untergehender Sonne, aber im Grunde geht es vor allem um das eine. „Die meisten Frauen buchen mich für zwei, höchstens drei Stunden“, berichtet Aaron, „und zwar gleich zu sich nach Hause. Das ist billiger.“ Das kleine Zeitfenster ist für die Callboys die größte Herausforderung, vor allem wenn die Kundin neu ist. „Die meisten sind wahnsinnig unsicher und haben zugleich hohe Erwartungen an den Abend“, erzählt Aaron.

Deshalb geben die Callboys bereits in ihrem Internetprofil viel mehr von sich preis als ihre Branchenkolleginnen. „Fast alle zeigen sich mit Gesicht“, berichtet „Callboyz.net“-Gründer Michael.

„Wer seine Augen pixelt, hat’s viel schwerer.“

In Selbstporträts schreiben die Modelle, nach welchen Werten sie handeln, oder verraten Details aus ihrem Leben – dass sie gerade einen Roman schreiben, mit ihrem Motorrad verheiratet sind oder an Seelenverwandtschaft glauben. Alle bezeichnen sich als gute Zuhörer, als empathisch, diskret, humorvoll. Alle sind mindestens 1,80 Meter groß und „garantiert Covid-frei“. „Wer nicht diese Dinge erfüllt, wird kaum eine Anfrage kriegen“, sagt Michael. Manche stellen zudem Stimmproben und Kurzvideos ins Netz und können mit Bewertungen von beglückten Kundinnen aufwarten. Ein Auszug: „Bestes Geburtstagsgeschenk ever!“ Und: „Ich kann Kevin nur weiterempfehlen.“ Damit nicht genug. Die Männer bereiten auch schon Wochen vor dem Termin das Feld. „Ich melde mich per Whatsapp oder telefonisch.“

„Schließlich lässt die Kundin einen fremden Mann in ihre Wohnung“, erklärt Aaron. Dabei erkundigt er sich auch gleich nach Vorlieben. Nicht immer erhält er Antworten. „Viele tun sich natürlich schwer zu sagen, dass sie beim Sex beispielsweise härter angefasst werden mögen.“ Dieses teils zeitintensive Vorspiel nimmt Aaron in Kauf. „Es gibt ja beim Date keine Zeit zum Herausfinden. Die Frauen buchen mich nicht zum Plaudern. 30 Minuten müssen reichen zum Kennenlernen.“ Auch Fragen zum Geschäftlichen versucht er vorab zu beantworten: Ab wann läuft die Uhr? Gibt es Rabatt beim Folgetermin? „Die Frauen entspannen am besten, wenn sie vergessen, dass ich bezahlt werde.“

Manchmal verschwimmen so die Grenzen zwischen Realität und Illusion. Viele Bücher und Selbsterfahrungsberichte von Frauen im Netz handeln vom Wunschdenken, dass der Callboy das Geld liegen lässt und wahre Liebe entsteht. Diese Fantasie verhalf schon dem 90er-Jahre-Kultfilm „Pretty Woman“ zum Erfolg, wenngleich mit vertauschten Geschlechtern. Auch Aaron musste schon ein paar Mal auf Distanz gehen, um Kundinnen daran zu
erinnern, dass sie eine rein geschäftliche Beziehung unterhalten. Sein Ex-Kollege Michael bestätigt die ernüchternde Realität:

„Dass sich der Callboy in die Kundin verliebt, ist so wahrscheinlich wie ein Lottogewinn.“

Dass das Risiko umgekehrt sehr viel größer ist, dürfte auch am strengen Casting liegen. Eine Mitarbeiterin von Michael – eine ehemalige Kundin – hat hier das letzte Wort. Von 200 Bewerbern schafft es nur einer auf die Plattform. „Viele denken, es reicht, wenn sie 100 Kilo auf der Hantelbank stemmen können“, erklärt Michael die hohe Durchfallquote. Die Bewerber müssen nicht nur ansprechende Bilder und Videos einsenden, sie müssen auch im Interview überzeugen. „Wir achten auf eine positive Ausstrahlung, auf eine gewählte Ausdrucksweise, auf die richtige Motivation, nämlich Frauen glücklich zu machen“, zählt Michael auf. Deshalb haben nur finanziell unabhängige Kandidaten eine Chance, die den Liebesdienst im Nebenerwerb
anbieten können.(…)

Bei Aaron musste Michael nicht lang überlegen. Der Callboy aus dem Großraum Stuttgart passt perfekt in seine Truppe. Er bringt die nötige „Grundausstattung“ mit, ist beruflich längst angekommen und hat Spaß am Sex. „Ich war schon immer sehr aktiv“, sagt Aaron. Auf die Idee, sein Lieblingshobby zum Beruf zu machen, brachte ihn eine damalige Partnerin. „Wir hatten uns einen Callboy dazugebucht“, erzählt er. Die Partnerin war danach ziemlich enttäuscht – und schlug Aaron vor, ob er nicht das Niveau auf dem Callboy-Markt heben wolle. Vor anderthalb Jahren hatte er
dann seinen ersten Auftritt. „Ich war schon etwas aufgeregt“, erinnert er sich. „Aber die Kundin hat davon zum Glück nichts gemerkt.“ Seither hat Aaron nur gute Erfahrungen gemacht. „Bisher waren die Kundinnen allesamt attraktiv, gepflegt und kultiviert.“

Umgekehrt wisse er von Escort-Damen, dass sie zwar eine deutlich höhere „Schlagzahl“ haben, wie es im Business heißt, dass sie bei ihren Kunden aber auch deutlich kompromissbereiter sein müssen. Bisher habe er sich auch noch nicht mit unerwartet heimkehrenden Ehegatten rumärgern müssen.

„Meine Kundinnen überlassen da nichts dem Zufall.“

Trotzdem kommen manchmal verheiratete Frauen in Erklärungsnot, wenn etwa beim leidenschaftlichen Spiel die Gardinenstange zu Boden fällt oder Vasen zerbrechen. Folgen hatte wohl auch eine härtere Gangart im Familienauto in der Garage, bei der die Hintertür rausbrach. Wie erklärt man so etwas nach Feierabend? „Die Kundin hat sich danach jedenfalls nicht mehr gemeldet“, bedauert Aaron.

Aber auch die Callboys leben riskant. Die meisten führen eine Art Doppelleben, von dem allenfalls der beste Kumpel weiß. Am größten ist die Angst davor, dass der Arbeitgeber Wind vom Nebenerwerb bekommt…

 

Den vollständigen Artikel von Akiko Lachenmann können Sie nachlesen unter folgenden Online-Publikationen:

Stuttgarter Zeitung vom 22.12.2021:

https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.callboys-in-stuttgart-kaeufliche-liebe-fuer-frauen/

Badische Zeitung vom 20.12.2021:

https://www.badische-zeitung.de/suesse-stunden-fuer-sie-ein-callboy-erzaehlt-aus-seinem-berufsalltag–207414163.html